Gesetzliche Grundlage für Verkehrsüberwachung im Kanton Thurgau unzureichend
Gesetzliche Grundlage für Verkehrsüberwachung im Kanton Thurgau unzureichend
23.10.2019 | 13:50
Bundesgericht
(Bildquelle: gagnonm1993 (CC0))
Für den Einsatz der automatischen Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV) bedarf es einer ausreichend detaillierten Regelung in einem Gesetz. Für die im Kanton Thurgau praktizierte AFV fehlt es an einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde eines Autolenkers gut.
Das Obergericht des Kantons Thurgau hatte den Mann 2018 unter anderem wegen
mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung zu einer Geldstrafe und einer Busse verurteilt.
Dass der Betroffene trotz Entzug des Führerausweises einen Personenwagen gefahren
war, hatte sich aus Aufzeichungen der AFV ergeben.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Mannes gut, hebt das Urteil des Obergerichts auf und weist die Sache zu neuem Entscheid an dieses zurück. Bei der AFV
werden zunächst mittels Kamera das Kontrollschild, beziehungsweise die Identität des
Halters in Erfahrung gebracht; erfasst werden auch Zeitpunkt, Standort, Fahrtrichtung
und Fahrzeuginsassen. Über diese Erhebung und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Informationen hinaus werden die Daten anschliessend mit anderen Datensammlungen zusammengeführt und automatisch abgeglichen. Dies ermöglicht eine serielle
und simultane Verarbeitung komplexer Datensätze innert Sekundenbruchteilen. Namentlich die Kombination mit anderweitig erhobenen Daten kann Grundlage für
Persönlichkeits- und Bewegungsprofile bilden.
Schwerer Eingriff ins Recht
Die AFV kann abschreckende Wirkung
zeigen und mit einem Gefühl der Überwachung einhergehen, das die Selbstbestimmung wesentlich hemmen kann ("chilling effect"). Die AFV bedeutet somit einen schweren Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäss Artikel 13 Absatz 2 der
Bundesverfassung. Schwere Grundrechtseingriffe bedürfen einer klaren und ausdrücklichen Grundlage in einem formellen Gesetz.
Für einen effektiven Schutz des Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung ist insbesondere erforderlich, dass der Verwendungszweck, der Umfang der Erhebung sowie die Aufbewahrung und Löschung der Daten
hinreichend bestimmt sind. Das Thurgauer Polizeigesetz bildet entgegen der Auffassung
des Obergerichts keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage für den Einsatz
der AFV. Für die Strassenverkehrsteilnehmer ist nicht vorhersehbar, welche Informationen gesammelt, aufbewahrt und mit anderen Datenbanken verknüpft beziehungs -
weise abgeglichen werden.
Nicht ausreichend geregelt ist weiter die Aufbewahrung und
Vernichtung der Daten. Dem Thurgauer Polizeigesetz lässt sich insbesondere keine
Pflicht entnehmen, die Daten unverzüglich und spurlos zu löschen, falls sich beim
Datenabgleich kein Treffer ergeben hat. Mangels einer ausreichenden gesetzlichen
Grundlage wurden die Aufzeichnungen der AFV im konkreten Fall somit rechtswidrig
erhoben. Ihre Verwertung als Beweis wäre gemäss Strafprozessordung (Artikel 141
StPO) nur zulässig, wenn es um die Aufklärung schwerer Straftaten gehen würde. Das
Fahren ohne Berechtigung fällt nicht unter diese Kategorie.


